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Die transformative Kraft des Kapitalismus

Larry Finks Brief an CEOs, Januar 2022
Larry Fink ist Gründer und Chairman von BlackRock, der weltgrößten Investmentgesellschaft.

Sehr geehrte/r CEO,

zu Beginn eines jeden Jahres nehme ich mir Zeit für eine wichtige Aufgabe: Ihnen im Namen der Kunden von BlackRock, die Aktionäre Ihres Unternehmens sind, zu schreiben. Die meisten unserer Kunden legen ihr Geld an, um damit ihren Ruhestand zu finanzieren. Ihr Anlagehorizont kann sich über Jahrzehnte erstrecken.

Die finanzielle Sicherheit, die wir für unsere Kunden anstreben, entsteht nicht über Nacht. Dafür braucht es Zeit und deshalb verfolgen wir einen langfristigen Ansatz. Aus diesem Grund wende ich mich seit zehn Jahren regelmäßig mit einem Schreiben an Sie, die CEOs und Vorstandsvorsitzenden der Unternehmen, in die unsere Kunden investieren. Ich schreibe Ihnen als Treuhänder unserer Kunden, die uns ihr Vermögen zur Verwaltung anvertrauen. Dabei widme ich mich stets den Themen, die aus meiner Sicht von zentraler Bedeutung für langfristig beständige Erträge und somit Voraussetzung dafür sind, dass unsere Anleger ihre Ziele erreichen können.

Als meine Partner und ich vor 34 Jahren BlackRock als Start-up gründeten, wusste ich nicht, was es heißt, ein Unternehmen zu führen. In den vergangenen drei Jahrzehnten hatte ich Gelegenheit, mit vielen CEOs zu sprechen und so zu erfahren, was wirklich erfolgreiche Unternehmen ausmacht. Sie eint, dass sie ein klares Ziel vor Augen haben und konsistente Werte verfolgen. Zudem erkennen sie an, wie essenziell der ständige Dialog mit ihren wichtigsten Stakeholdern ist und dass sie ihnen gerecht werden müssen. Das ist das Fundament des Stakeholder-Kapitalismus.

Beim Stakeholder-Kapitalismus geht es nicht um Politik. Auch nicht um eine soziale oder ideologische Agenda. Er ist auch nicht „woke“. Er ist Kapitalismus, angetrieben von Beziehungen von gegenseitigem Nutzen zwischen Ihnen und Ihren Mitarbeitern, Kunden, Zulieferern und Gemeinschaften, ohne die Ihr Unternehmen nicht erfolgreich sein und gedeihen kann. Das ist die Kraft des Kapitalismus.

In unserer heutigen global vernetzten Welt muss ein Unternehmen für alle seine Stakeholder Werte schaffen und gleichzeitig deren Wertschätzung erhalten. Nur so kann es seinen Aktionären langfristig einen Wert bieten. Ein wirksamer Stakeholder-Kapitalismus ermöglicht eine optimale Kapitalverwendung, dauerhaft rentable Unternehmen sowie eine langfristige Schaffung von Werten und deren Erhalt. Das sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass faires Streben nach Gewinn immer noch das ist, was Märkte antreibt. Und langfristige Rentabilität ist für Märkte schlussendlich der Gradmesser für den Erfolg Ihres Unternehmens.

Grundlage des Kapitalismus ist der Prozess der ständigen Neuerfindung – Unternehmen müssen sich immer weiterentwickeln und auf Veränderungen reagieren. Andernfalls drohen sie, von neuen Wettbewerbern verdrängt zu werden. Die Pandemie hat die Rahmenbedingungen für nahezu jedes Unternehmen rasant verändert. Sie verändert die Art und Weise, wie wir arbeiten und einkaufen. Sie lässt neue Unternehmen entstehen und richtet bestehende zugrunde. Vor allem aber hat sie die vom technologischen Fortschritt angestoßenen Umwälzungen für unser Leben und die Geschäftswelt dramatisch beschleunigt. Innovative Unternehmen, die sich diese Rahmenbedingungen zunutze machen wollen, kommen heute leichter denn je an das nötige Kapital, um ihre Visionen zu verwirklichen. Und die Beziehungen zwischen einem Unternehmen, seinen Mitarbeitern und der Gesellschaft werden neu definiert.

Zugleich hat die Pandemie das Vertrauen in traditionelle Institutionen untergraben und die Polarisierung in vielen westlichen Gesellschaften verschärft. Diese Entwicklung stellt Sie als CEO vor neue Herausforderungen. Politische Aktivisten oder Medien können Dinge, die Ihr Unternehmen tut, zu einem Politikum machen. Sie können Ihre Marke für ihre eigenen Zwecke missbrauchen. In einem solchen Umfeld sind die Fakten selbst häufig umstritten. Aber Unternehmen haben auch die Möglichkeit, hierbei eine Führungsrolle zu übernehmen. Beschäftigte sehen ihr Unternehmen zunehmend als die vertrauenswürdigste, kompetenteste und ethischste Informationsquelle an, der sie mehr vertrauen als Regierungen, Medien und Nichtregierungsorganisationen (NGOs).

Darum ist Ihre Stimme heute wichtiger denn je. Nie war es für CEOs von größerer Relevanz, Position zu beziehen und einen klar definierten Unternehmenszweck, eine kohärente Geschäftsstrategie sowie eine langfristige Perspektive zu haben. Ihr Unternehmenszweck ist der Nordstern, der zentrale Fixpunkt, an dem Sie und Ihr Unternehmen sich in diesen turbulenten Zeiten orientieren können. Die Stakeholder, ohne die Ihr Unternehmen keine Gewinne für seine Aktionäre erwirtschaften kann, müssen von Ihnen direkt hören – um von Ihnen eingebunden und inspiriert zu werden. Natürlich wollen sie von uns als CEOs nicht zu jedem Tagesthema unsere Meinung hören. Aber sie müssen wissen, welchen Standpunkt wir mit Blick auf wichtige gesellschaftliche Fragen vertreten, die wesentlich für den langfristigen Erfolg unserer Unternehmen sind.

Den Zweck Ihres Unternehmens zur Grundlage Ihrer Beziehungen mit Ihren Stakeholdern zu machen, ist die zentrale Voraussetzung für dauerhaften Erfolg. Ihre Mitarbeiter müssen den Unternehmenszweck verstehen und sich damit identifizieren – dann können sie Ihre treuesten Unterstützer sein. Ihre Kunden wollen sehen und hören, wofür Sie stehen, denn sie bevorzugen immer eher Produkte und Dienstleistungen von Firmen, die ihre Werte teilen. Und schließlich müssen Aktionäre das Leitprinzip verstehen, das Ihrer Vision und Mission zugrunde liegt. In schwierigen Zeiten werden sie Ihnen eher die Stange halten, wenn sie Ihre Geschäftsstrategie und Beweggründe nachvollziehen können.

 

Eine neue Arbeitswelt

Keine Beziehung wurde durch die Pandemie grundlegender verändert als die zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. In den USA und Großbritannien ist die Kündigungsrate auf einem neuen Höchststand. Zudem steigen die Löhne in den Vereinigten Staaten derzeit so rasant wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Dass Arbeitnehmer neue Chancen ergreifen, ist gut, denn es zeigt, dass sie Vertrauen in die wirtschaftliche Entwicklung haben.

Zwar sind nicht alle Länder und Branchen gleichermaßen von Fluktuation und steigenden Löhnen betroffen. Aber rund um den Globus erwarten Beschäftigte heute mehr von ihren Arbeitgebern – darunter mehr Flexibilität und eine sinnstiftendere Tätigkeit. Während sich Unternehmen nach der Pandemie neu aufstellen, sehen sich ihre CEOs mit einem Paradigmenwechsel konfrontiert. Früher erwarteten Unternehmen von ihren Mitarbeitern, dass sie von Montag bis Freitag ins Büro kommen. Die psychische Gesundheit war kaum ein Thema, über das am Arbeitsplatz diskutiert wurde. Und die Löhne von Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen stiegen kaum.

Diese Welt ist Geschichte.

Dass Arbeitnehmer mehr von ihren Arbeitgebern erwarten, ist ein wesentliches Merkmal eines funktionierenden Kapitalismus. Es fördert den Wohlstand für alle und den Wettbewerb um Talente. Es treibt Unternehmen an, für ihre Beschäftigten ein besseres, innovativeres Arbeitsumfeld zu schaffen – und es hilft ihnen, höhere Gewinne für ihre Aktionäre zu erzielen. Unternehmen, denen dies gelingt, werden für ihre Mühe belohnt. So zeigen unsere Analysen, dass Firmen mit einer starken Mitarbeiterbindung während der Pandemie von geringerer Fluktuation und höherer Rentabilität profitiert haben.1

Unternehmen, die sich nicht an diese neue Realität anpassen und die Bedürfnisse ihrer Beschäftigten nicht ernst nehmen, laufen Gefahr, ins Hintertreffen zu geraten. Fluktuation treibt die Kosten in die Höhe und schmälert die Produktivität. Sie untergräbt die Unternehmenskultur und das Bewahren von Firmenwissen. CEOs müssen sich fragen, ob sie ein Betriebsumfeld schaffen, das im Wettbewerb um Talente hilfreich ist. Bei BlackRock tun wir genau das: Gemeinsam mit unseren Mitarbeitern arbeiten wir daran, die Herausforderungen dieser neuen Arbeitswelt zu meistern.

Ein solches Umfeld zu entwickeln, ist heute komplexer denn je und beinhaltet weit mehr als eine angemessene Vergütung und flexible Arbeitsmodelle. Die Pandemie hat nicht nur unser Verhältnis zu unserem Arbeitsplatz neu definiert. Sie rückt auch Themen wie ethnische Gleichstellung, Kinderbetreuung und psychische Gesundheit ins Bewusstsein und macht deutlich, welche unterschiedlichen Erwartungen junge und ältere Menschen an Arbeit haben. Diese Themen stehen nun im Mittelpunkt des Interesses von CEOs. Sie müssen darüber nachdenken, wie sie sich zu gesellschaftlichen Fragen äußern, die ihren Mitarbeitern wichtig sind. Diejenigen, die Bescheidenheit an den Tag legen und ihren Unternehmenszweck nicht aus den Augen verlieren, bauen mit größerer Wahrscheinlichkeit eine Bindung auf, die ein Berufsleben überdauert.

Bei BlackRock wollen wir verstehen, wie sich dieser Trend auf Ihre Branche und Ihr Unternehmen auswirkt. Was tun Sie, um die Bindung zu Ihren Mitarbeitern zu stärken? Wie gewährleisten Sie, dass sich Ihre Beschäftigten unabhängig von ihrem Hintergrund in Ihrem Unternehmen sicher genug fühlen, um ihre Kreativität, Innovationsfähigkeit und Produktivität voll auszuschöpfen? Wie stellen Sie sicher, dass Ihr Aufsichtsgremium diese wichtigen Themen im Blick hat? Wo und wie wir arbeiten, wird nie mehr so sein wie früher. Wie passt sich Ihre Firmenkultur an diese neue Arbeitswelt an?
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(Ende des Auszugs - den vollständigen Brief finden Sie auf der Website von BlackRock.)

 

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